Schlagwort: Automatisierung

  • Körperschema beim Reiten: Die Wissenschaft hinter der Wahrnehmungslücke

    Warum dein Gefühl dich manchmal trügt und wie moderne Forschung das erklärt

    Wenn Gefühl und Realität nicht übereinstimmen

    Kennst du das Gefühl: Du kommst aus dem Sattel und fühlst dich großartig – dein Sitz war perfekt, das Pferd lief wunderbar, alles stimmte. Dann siehst du das Video deiner Trainerin oder die Richter vergeben eine enttäuschende Note. Was ist passiert?

    Die Antwort liegt in einem faszinierenden Phänomen, das Neurowissenschaftler als “Körperschema” bezeichnen. Diese körpereigene “Landkarte” unseres Gehirns kann uns nicht nur helfen, sondern manchmal auch in die Irre führen – besonders beim Reiten.

    Was ist das Körperschema?

    Das Körperschema ist eine neurologische Meisterleistung: Unser Gehirn integriert propriozeptive (den Sinn der relativen Position benachbarter Körperteile) und taktile Informationen, um eine dreidimensionale Körperrepräsentation aufrechtzuerhalten. Diese interne “Landkarte” wird ständig aktualisiert und ist größtenteils unbewusst.

    Der Unterschied zwischen Körperschema und Körperbild

    Das Körperschema bezieht sich auf ein Modell der eigenen Körperhaltung, das ständig mit neuen sensorischen Informationen aktualisiert wird, die durch Haltungsveränderungen ausgelöst werden. Es ist eine neuronale Repräsentation des Körpers, die an der Motor- und Haltungskontrolle beteiligt ist.

    Das Körperbild hingegen ist bewusster und umfasst unsere Gedanken, Gefühle und Überzeugungen über unseren Körper.

    Die neurologischen Grundlagen beim Reiten

    Spiegelneuronen und Bewegungslernen

    Spiegelneuronen feuern sowohl, wenn ein Individuum eine motorische Handlung ausführt, als auch wenn er eine andere Person dabei beobachtet, dieselbe oder eine ähnliche motorische Handlung auszuführen. Beim Reiten sind diese Neuronen besonders aktiv:

    • Beim Beobachten anderer Reiter: Wir “spüren” deren Bewegungen mit
    • Beim Unterricht: Das Gehirn simuliert die gezeigten Bewegungen
    • Bei der Fehlerkorrektur: Spiegelneuronen helfen uns, Unterschiede zu verstehen

    Propriozeption: Der “sechste Sinn”

    Propriozeption umfasst die Sinne für Position und Bewegung unserer Gliedmaßen und des Rumpfes, den Kraftsinn und den Schweresinn. Beim Reiten ist diese besonders komplex, da zwei Körper – Reiter und Pferd – koordiniert werden müssen.

    Warum das Körperschema beim Reiten “lügt”

    1. Bewegungskompensation

    Unser Gehirn ist darauf programmiert, Bewegungen zu stabilisieren. Das Gehirn erstellt ein sich kontinuierlich veränderndes posturales Modell unseres Körpers. Beim Reiten kompensiert es automatisch:

    • Schiefe Haltung wird als “gerade” empfunden
    • Verkrampfungen werden überspielt
    • Asymmetrien werden ausgeglichen

    2. Gewöhnungseffekt

    Das Körperschema passt sich an wiederholte Bewegungsmuster an. Was sich anfangs falsch anfühlte, wird nach mehrmaligem Ausführen zur neuen “Normalität”.

    3. Multisensorische Integration

    Das Primatengehirn konstruiert verschiedene körperteilzentrierte Raumrepräsentationen, basierend auf der Integration visueller, taktiler und propriozeptiver Informationen. Beim Reiten konkurrieren verschiedene Sinneseindrücke:

    • Visuelle Informationen (Umgebung, Pferdekopf)
    • Taktile Rückmeldung (Sattel, Zügel, Pferdebewegung)
    • Propriozeptive Signale (eigene Körperposition)

    Die Biomechanik des Pferdes verstehen

    Kraftverteilung und Schwerpunkt

    Die Vorhand wird mit etwa 55% des Gesamtgewichts und die Hinterhand mit etwa 45% des Gesamtgewichts belastet. Bei einem ca. 75kg schweren Reiter trägt ein normalgewichtiges Warmblutpferd mit 600kg etwa 12,5%.

    Diese Gewichtsverteilung hat direkten Einfluss auf unser Körperschema:

    • Falscher Schwerpunkt: Reiter kompensieren unbewusst die Vorhandlastigkeit
    • Asymmetrische Belastung: Führt zu einseitigen Spannungsmustern
    • Dynamische Veränderungen: Bei Tempowechseln ändert sich die Gewichtsverteilung

    Der Pferderücken als biomechanisches System

    Der Rücken fungiert wie eine Brücke und überträgt Kräfte zwischen den Gliedmaßen. Für das Reiter-Körperschema bedeutet das:

    • Schwingungen werden über die Wirbelsäule übertragen
    • Asymmetrien des Pferdes beeinflussen die Reiterwahrnehmung
    • Verspannungen übertragen sich bidirektional

    Moderne Lösungsansätze: Wenn Technologie hilft

    Videoanalyse und externes Feedback

    Die Hippotherapie verbessert das Gleichgewicht, reduziert die Spastik, reduziert die Fatigue und verbessert die Lebensqualität. Diese Erkenntnisse aus der Therapie lassen sich auf das Reittraining übertragen:

    Reitsimulator-Training bietet:

    • Konstante Bewegungsmuster für präzise Analyse
    • 360°-Videoaufzeichnung aus vier Winkeln
    • Wiederholbare Bedingungen ohne Pferdereaktionen
    • Gefahrlose Fehleranalyse

    Multisensorisches Lernen

    Die Körperrepresentation hat eine multisensorische Natur, da sie auf der Integration von Informationen aus verschiedenen Quellen basiert.

    Optimales Training kombiniert:

    • Visuelle Rückmeldung: Video-Feedback in Echtzeit
    • Kinästhetische Erfahrung: Bewegungsgefühl am Simulator
    • Kognitive Verarbeitung: Bewusste Analyse der Unterschiede

    Die Zukunft der Reiterausbildung

    Neuroplastizität nutzen

    Das Gehirn kann seine Verbindungen umorganisieren. Diese Repräsentationen können sich plastisch nach aktivem Werkzeuggebrauch verändern, der den erreichbaren Raum erweitert.

    Für Reiter bedeutet das:

    • Falsche Bewegungsmuster sind korrigierbar
    • Neue neuronale Bahnen können gebildet werden
    • Bewusstes Training kann das Körperschema “umprogrammieren”

    Personalisiertes Training

    Jedes Pferd hat ein individuelles Bewegungsmuster und benötigt daher auch ein individuelles Training. Dies gilt ebenso für Reiter – jeder hat ein individuelles Körperschema.

    Moderne Ausbildung berücksichtigt:

    • Individuelle anatomische Voraussetzungen
    • Persönliche Kompensationsmuster
    • Spezifische neuromotorische Eigenschaften

    Praktische Anwendung im Training

    Die “Aha-Momente” schaffen

    Um die Wahrnehmungslücke zu schließen, braucht es gezielte Interventionen:

    1. Externe Beobachtung: Video-Feedback zeigt objektive Realität
    2. Bewusste Wahrnehmung: Aufmerksamkeit auf spezifische Körperteile lenken
    3. Kontrastierungen: Bewusst “falsch” sitzen, um den Unterschied zu spüren
    4. Wiederholungen: Neue Bewegungsmuster durch häufige korrekte Ausführung festigen

    Integration in den Trainingsalltag

    Dreistufiges Vorgehen:

    1. Sensibilisierung: Bewusstsein für die Wahrnehmungslücke schaffen
    2. Kalibrierung: Gefühl und Realität durch externes Feedback abgleichen
    3. Automatisierung: Neue Bewegungsmuster durch Wiederholung festigen

    Fazit: Wenn Wissenschaft auf Praxis trifft

    Die Neurowissenschaft zeigt uns: Das Körperschema beim Reiten ist ein komplexes, aber beeinflussbares System. Die gute Nachricht: Es gibt zunehmende Belege dafür, dass Aktionserzeugung, -beobachtung, -vorstellung und -verständnis ähnliche funktionelle Netzwerke im Gehirn teilen.

    Das bedeutet für jeden Reiter:

    • Deine Wahrnehmung kann trainiert werden
    • Externe Rückmeldung ist unverzichtbar
    • Bewusstes Lernen kann unbewusste Muster verändern
    • Moderne Technologie kann jahrhundertealte Ausbildungsprobleme lösen

    Die Zukunft der Reiterausbildung liegt in der intelligenten Verknüpfung von traditionellem Wissen mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen. Wer sein Körperschema versteht und gezielt trainiert, wird nicht nur besser reiten – sondern auch verstehen, warum.


    Quellen und weiterführende Literatur

    1. Zentrum für Therapeutisches Reiten Johannisberg e.V. (2017). MS HIPPO Studie – Evidenzbasierte Hippotherapie-Forschung.
    2. Institut für Sportwissenschaft TU Dresden (2012). Biomechanische Aspekte des Reitsports – Körperschwerpunkt und Kraftverteilung.
    3. WeHorse.com (2025). Pferdebiomechanik: Moderne Erkenntnisse für die Praxis.
    4. Boccia, M. et al. (2020). Neural correlates of body representation in neurological patients. PMC Neuroscience Research.
    5. Rizzolatti, G. & Sinigaglia, C. (2010). The functional role of the parieto-frontal mirror circuit. Nature Neuroscience.
    6. Jeannerod, M. (1995). Body schema and motor cognition in embodied mind research. Frontiers in Human Neuroscience.
    7. Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. (2024). Wissenschaftliche Studien zur Hippotherapie und Biomechanik.

    Dieser Artikel basiert auf aktueller wissenschaftlicher Forschung und praktischen Erfahrungen aus der Reiterausbildung mit Simulatortechnologie.


    Über die Autorin: Kirstin Hennemann ist Expertin für reitsimulatorbasiertes Training und arbeitet mit modernster Videotechnologie zur Verbesserung des Reitersitzes. Mehr Informationen unter www.reitsimulator-flatow.de oder telefonisch unter 0174/9385605.

  • Warum du denkst, du hast etwas verändert- aber dein Körper macht es nicht

    Körperschema und Wahrnehmung beim Reiten

    Kennst du das?

    Du bekommst eine Rückmeldung wie:

    „Setz dich gerade.“ – Und du richtest dich auf.

    Oder: „Hacke runter.“ – Und du denkst: Hab ich gemacht.

    Aber dann zeigt dir ein Video, dein Reitlehrer oder der Spiegel:

    Der Absatz ist immer noch oben. Der Oberkörper kippt immer noch.

    Das ist kein Zeichen von Unfähigkeit – sondern von etwas viel Spannenderem:

    👉 Dein Körperschema stimmt nicht mit der Realität überein.

    🧠 Was ist das Körperschema?

    Unser Gehirn erstellt ein inneres Abbild vom Körper – seine Lage, Haltung, Spannung, Bewegung.

    Aber dieses Bild ist nicht immer exakt. Es wird beeinflusst durch:

    • frühere Bewegungsmuster
    • Kompensation
    • fehlende Rückmeldung
    • alte Gewohnheiten

    So entsteht eine Wahrnehmungslücke:

    Du bist überzeugt, du hast etwas verändert – aber dein Körper weiß nichts davon.

    🎯 Was das im Reiten bedeutet

    Wenn dein Körperschema „verschoben“ ist, passiert oft:

    • Du sitzt gefühlt gerade, bist aber real nach vorn geneigt
    • Du denkst, du gibst eine feine Hilfe – aber der Zügel steht
    • Du willst weich mitgehen – aber dein Becken bleibt fest

    Und weil du glaubst, dass du bereits etwas tust, wirst du entweder:

    • ungeduldig gegenüber dem Pferd („Warum reagiert es nicht?!“)
    • oder unsicher mit dir selbst („Ich versteh nicht, was ich falsch mache…“)

    🔍 Wie du das erkennst – und ändern kannst

    Was hilft, um dein Körperschema zu korrigieren?

    ✅ Video-Feedback

    → Externes Bild trifft internes Gefühl – das schärft die Wahrnehmung

    ✅ Simulatorarbeit mit Führung

    → Dein Körper wird geführt – und lernt: Ah, SO fühlt sich das also an.

    ✅ Zielgerichtete, nicht wertende Rückmeldung

    → Keine Bewertungen („Das war falsch“), sondern Infos („Dein Becken ist 3 cm gekippt“)

    ✅ Körperarbeit & Mikrobewegungen

    → Kleine Aufgaben mit Fokus („Kannst du dein Schulterblatt 1 cm ablegen?“)

    🧠 Automatisierung ist nicht das Problem – sie ist das Ziel!

    Viele denken beim Thema Körperschema oder Bewegungswahrnehmung:

    „Aber Reiten soll doch automatisch ablaufen! Ich will nicht dauernd über meinen Sitz nachdenken!“

    Richtig.

    Aber entscheidend ist WAS du automatisierst:

    • Wenn du eine bewusste, differenzierte Bewegung verstehst und dann automatisierst →
      bekommst du feine, abrufbare Reaktionen – auch unter Druck.
    • Wenn du aber etwas automatisierst, das du nie richtig verstanden hast →
      bekommst du ein festgefahrenes Muster, das du weder kontrollieren noch verändern kannst.

    ➡️ Und das ist der Unterschied zwischen einem Reiter, der führen kann –

    und einem, der einfach „nur mitfährt“.

    🐴 Beispiel: Schrittbewegung begleiten

    Viele Reiter:innen meinen, sie würden im Schritt „mitgehen“.

    Aber ihr Becken bleibt passiv oder bewegt sich in einer falschen Richtung.

    Sie haben nie verstanden:

    • welche Form die Bewegung hat (z. B. das „V“ in der Hüfte)
      • wo sie beginnt (aus dem Fuß)
    • wie sie dosiert werden kann (kleiner Impuls oder aktives Vorschlagen)

    Solange das fehlt, ist keine echte Automatisierung möglich.

    Das Gehirn hat schlichtweg keine Bahn dafür gebaut.

    Und du kannst nur das automatisieren, was du zuvor bewusst vernetzt hast.

    🚦 Reiten ist wie Autofahren

    Beim Autofahren denkst du irgendwann nicht mehr über Gas, Kupplung und Blinker nach –

    aber nur, weil du sie vorher hundertfach bewusst geübt hast.

    Und wenn plötzlich jemand auf die Straße springt, kannst du blitzschnell reagieren –

    weil du Zugriff auf deine Steuerung hast.

    Im Reiten brauchst du genau dieselbe Automatisierungsqualität.

    Denn dein Pferd ist ein Fluchttier – du brauchst schnelle, feine Reaktionen.

    📽️ Beispiel aus dem Alltag

    Eine Kundin auf dem Simulator soll „Hacken runter“ machen.

    Sie sagt: „Hab ich gemacht.“

    Aber die Kamera zeigt: nichts passiert.

    Ich leite die Bewegung mit einer sanften Führung an – sie erschrickt fast:

    „Oha – das fühlt sich ganz anders an als ich dachte!“

    In genau diesem Moment beginnt das Gehirn, das neue Muster zu speichern.

    🌱 Fazit

    Du willst nicht dauerhaft bewusst reiten.

    Aber du willst Bewegungen so gut verstehen,

    dass du sie bewusst automatisieren kannst.

    Dann wird dein Sitz:

    • nicht nur funktional,
    • sondern führend, fein und reaktiv.

    🧭 Warum Reitsimulator-Training so wertvoll ist

    Viele dieser körperlichen Aha-Momente entstehen nicht zufällig – sondern durch einen Raum, in dem der Körper sicher, ungestört und gezielt lernen darf. Und genau das macht den Reitsimulator so einzigartig:

    🧠 

    Klarheit statt Komplexität

    Beim Reiten draußen passieren hundert Dinge gleichzeitig:

    Das Pferd schaut, der Boden wackelt, jemand sagt was.

    Auf dem Simulator bleibt der Fokus bei dir.

    Du kannst dich voll auf eine Bewegung konzentrieren – ohne Störungen.

    🔁 

    Unzählige Wiederholungen – ohne Frust

    Wenn dein Pferd nach 3 Versuchen genervt ist, brichst du ab.

    Der Simulator sagt nichts.

    Du darfst so oft üben, wie du brauchst, in deinem Tempo, mit sanfter Anleitung.

    Zeit und Muße zum Fühlen

    Viele Reiter:innen sagen nach ein paar Minuten:

    „Oh wow – jetzt spür ich’s wirklich.“

    Weil niemand etwas von ihnen will.

    Weil kein Pferd Druck macht.

    Weil endlich Raum ist, um Bewegungen zu spüren statt sie nur auszuführen.

    Gezielte Automatisierung

    Nur was du verstanden und gefühlt hast, kannst du langfristig automatisieren.

    Auf dem Simulator entsteht das Fundament:

    • Du verstehst den Ablauf
    • Du erlebst das richtige Timing
    • Du wiederholst ihn bewusst – bis er sich einprägt

    Das Ergebnis: Du reitest später bewusst intuitiv.

    Nicht durch Glück. Sondern durch neuronale Klarheit.

    🤝 Einladung

    📍 Reitsimulator Flatow bei Berlin
    Mach gerne einen Termin aus, mit klarer Rückmeldung und sichtbarem Fortschritt 🙂

    📩 Kontakt aufnehmen